Das wohl älteste Einsiedler Haus und der „Viertel-Maler“
Ehemalige Ortslistennummer/Brandkatasternummer 98
… auch 2022 noch über der Haustür angebracht.
Mit einem Baujahr vor 1787 ist das Fachwerkhaus am Fuße des Kuhberges im Talsperrengrund 9 vermutlich das älteste zum Zeitpunkt bestehende und bewohnte Gebäude in Einsiedel.
Seit 15. Dezember 1861 ist es im Besitz der Familie Viertel und damit in der fünften Generation:
Anton Viertel > Theodor Viertel > Walter Viertel > Lotte Treuter geb. Viertel > seit Mai 1993 Gerd Treuter.
Bekanntester Spross, jedenfalls im engeren heimatgeschichtlichen Sinne, ist wohl der Malermeister Walter Viertel.
Aber der Reihe nach. Geboren wurde Walter Viertel am 27. April 1887. Er lernte im renommierten Chemnitzer Malergeschäft Kühn & Ebert und arbeitete dann später dort als Geselle.
Er war Kriegsteilnehmer im Ersten Weltkrieg. Nach gesunder Rückkehr legte er 1920 die Meisterprüfung erfolgreich ab und machte sich hier mit elterlichem Hause selbständig. Die Werkstatt als Gebäude gibt es übrigens ebenfalls bis heute, wenn auch das Inventar ein völlig anderes ist.
Das Geschäft lief gut, Viertel beschäftige in den 1920er Jahren eine beachtliche Zahl von Arbeitskräften.
Nebenstehend zwei Offerten aus dieser Zeit. Man beachte die Formulierungen „Kunstgewerblich geschulter…“ und „Künstlerisch dekorative Malereien“.
Walter Viertel hatte in Nürnberg und Berlin „Ornamentik“ studiert und demzufolge war sein berufliches Repertoire auch etwas umfassender, wurde durch ihm entsprechend beworben und war – vor allem in den 1920er und 30er Jahren – recht gefragt. Wer es etwas exclusiver haben wollte, wurde entsprechend bedient und so gestaltete er Wohnungen und Säle in Gasthäusern.
Auch im eigenen Haus finden sich noch heute kleine Zeitzeugen seines Schaffens, z.B. sogenannte Kammmalereien.
Er fertigte aber auch Zeichnungen an, die uns einen Blick auf das Vorkriegseinsiedel gewähren:
Bereits 1920 hatte er die Tochter eines seiner Lehrmeister, Margarethe Ebert, geheiratet. Aus der Ehe gingen zwei Töchter und ein Sohn hervor.
Im Zweiten Weltkrieg wurde er erneut einberufen. Was ihn – über 50 Jahre alt – dafür prädestinierte, ist unklar. Die Wehrpflicht dauerte damals vom vollendeten 18. Lebensjahr bis zu dem auf die Vollendung des 45. Lebensjahres folgenden 31. März. Das Wehrgesetz vom 21. Mai 1935 ließ aber explizit Ausnahmen zu, vor allem im Kriegsfall.
Stationiert war er in Schleswig-Holstein und hier geriet er später in englische Kriegsgefangenschaft, aus der er aber bereits Ende Juli 1945 entlassen wurde.
Er kehrte zurück in seinen völlig zerstörten Heimatort, wenn auch das eigene Haus nicht betroffen war. In seiner Werkstatt indes war eine obdachlose Familie einquartiert worden.
Einer Familie, die er in der Gemeinde Tating (Schleswig-Holstein) im Krieg kennengelernt hatte, schrieb er am 21. Januar 1946:
„Es ist ja ein besonders fataler Zustand in Schl.-Holst. mit dem Hausbrand [Feuerungsmittel zum Heizen]. Dass es auch bei Ihnen wie bei uns keine Kohlen gibt, ist natürlich Kriegsfolge. Aber wir haben Kohlenschächte in nächster Nähe, 20 km; und Braunkohlenschächte und Brikettfabriken in 60 km Entfernung. Dafür haben wir nun Gott sei Dank wie Sie sich vielleicht noch von meiner Heimatpostkarte erinnern werden, viel Wald. Fichten und Kiefern. Dieser wird von der übergrossen Bevölkerung tüchtig gestraft. Selbst ich habe aus eigenem Grundstück ca. 3 Festmeter Ahornholz geschnitten, welches noch der Zerkleinerung harrt.“ [sic]
In den ersten Nachkriegsjahren war das Fotografieren durch die sowjetische Besatzungsmacht stark eingeschränkt, teilweise auch verboten.
Für Walter Viertel bedeute dies, dass er wie vor dem Krieg mit Bleistift und Block einzigartige Zeichnungen erstellte, die uns noch heute als wertvolle heimatgeschichtliche Dokumente hochinteressante Ansichten des zerstörten Ortes zeigen.
Rechts sehen wir eine seiner letzten Werbeanzeigen aus der Broschüre „700 Jahre Einsiedel“ 1955.
1957 übergab er sein Geschäft an den Malermeister Lothar Haase aus Weißbach.
Als Walter Viertel im August 1959 starb, verlor Einsiedel mit ihm einen wichtigen Zeitzeugen, der sich mit seinem Lebenswerk selbst ein Denkmal gesetzt hat.
Auf ewig ungeteilt
Bei dem am 22. Oktober 2017 stattgefundenen historischen Ortsspaziergang „Von der Kümmelgasse in die Hölle“ wurde auch hier an der Kümmelgasse resp. Talsperrengrund 9 kurz haltgemacht und Ingobert Rost erklärte den Teilnehmern, was es mit dem „Grünen Torbogen“, den wir auf dem Bild erkennen, auf sich hat.
Wie oben erwähnt, war Walter Viertel im Krieg und britischer Kriegsgefangenschaft in Schleswig-Holstein. Dort fand er an vielen Hauszugängen beidseitig verbundene Hainbuchen, die im Laufe der Jahre ineinander verwuchsen und sich nicht mehr lösen ließen.
Man nennt sie dort Up ewig ungedeelt, sie symbolisieren wahrscheinlich die Treue der im Haus wohnenden Paare.
Aber noch wichtiger: Es ist auch eine politische Aussage gewesen: Das Land bleibt auf ewig ungeteilt. Schleswig-Holstein war zwischen Dänemark und Preußen über Jahrhunderte ein Zankapfel. (Empfehlung: Deutsch-Dänischer Krieg 1864)
Walter Viertel gefielen diese natürliche grünen Torbögen und er pflanzte auch einen solchen. Hier sind es Eschen. Also „Augen auf“ bei nächstem Spaziergang, unzählige Dinge, an denen wir täglich vorbeigehen, haben einen kleinen, wissenswerten Hintergrund …
Für die Unterstützung zu dieser Seite bedanken wir uns bei:
- Ingobert Rost
- Lotte & Gerd Treuter
Passende, ergänzende Artikel zu dieser Seite
Noch einige Zeichnungen vom „Viertel-Maler“, die im Heimatwerk Einsiedel publiziert sind:
- Altenhainer Allee: Die Oberförsterbrücke
- Berbisdorfer Straße 24: Strumpffabrik C.F. Lohs
- Von Rothenburg zur Seydelstraße
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